„Das transformative Potenzial analoger Spiele, insbesondere narrativer Spiele, wurde bisher weit unterschätzt“ – Ein Interview mit Rafaela Eulberg und Kathrin Fischer vom Projekt „Zukunft erspielen“

Prof. Dr. Adrian Hermann, Dr. Rafaela Eulberg und Kathrin Fischer vom Bonn Lab for Analog Games and Imaginative Play der Universität Bonn und EduTale untersuchen im Rahmen des Dati-Förderprojekt „Zukunft erspielen“ das Innovationspotential von Tabletop-Rollenspielen für den Bildungsbereich. 

Im spielenden Klassenzimmer hatte Kathrin schon einmal erläutert, wie Rollenspiele allgemein das Lernen bereichern können. In diesem Interview geben sie und Rafaela nun Einblicke in die Entstehung des Projekts „Zukunft erspielen“, erläutern die Entwicklung einer Toolbox für Lehrende zur Anwendung edukativer Rollenspiele und schildern, welche Herausforderungen sie dabei zu meistern hatten.


Liebe Kathrin, liebe Rafaela, ihr betreut und organisiert das Projekt „Zukunft erspielen“. Worum geht es dabei genau?

Bei dem Projekt geht es darum, Erkenntnisse aus Anwendung und Theorie zu Rollenspielen für Bildungszwecke niedrigschwellig zugänglich zu machen. In den letzten Jahren sind zahlreiche wertvolle, inspirierende Techniken entstanden, die sich zur Förderung zahlreicher Kompetenzen eignen, wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und problemlösendes Handeln.

Wir wollen auf dieser Grundlage ein leicht und vielseitig anwendbares Produkt für den Bildungsbereich entwickeln. Angestrebt wird die Entwicklung des Prototypen einer Toolbox: Die Box wird Spiele und Methodentools für die (Weiter-)Entwicklung von Spielen und Durchführung von Spielen im Bildungsbereich für Jugendliche und Erwachsene enthalten.


In diesem Video erfahrt ihr mehr zum Projekt „Zukunft erspielen“

Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen, diese Toolbox zu entwickeln? Was hat euch motiviert?

Bei meiner Arbeit mit Rollenspielen habe ich [Kathrin] immer wieder festgestellt, dass das „Hacken“ von Spielen, also das Verändern, Neukombinieren und Anpassen an Bedarfe, einen ganz zentralen Aspekt darstellt. Das ist im Hobbybereich so (hier haben viele Spielgruppen eigene Welten und Systeme), aber im edukativen Bereich stellt sich ganz besonders die Frage: Welche Ziele und Bedarfe gibt es, und wie muss ein Spiel und dessen Rahmen angepasst darauf aussehen.

Ich habe bereits ein konkretes Spiel für eine klar definierte Lerngruppe herausgegeben, welches schon einige Anwender*innen inspiriert hat, selbst kreativ damit weiterzuarbeiten. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass dabei so viele neue Ideen entstanden sind. Deshalb steht die kreative Arbeit mit dem Spiel bei dem aktuellen Projekt im Zentrum.

Über verschiedene Konferenzen der Uni Bonn in den letzten Jahren haben wir außerdem Kontakte zu vielen spannenden Spiel-Designer*innen aus der ganzen Welt bekommen, die bereits innovative Ideen entwickelt haben. Das Projekt gibt uns die Möglichkeit, diese kreativen Menschen in die Entwicklung von Beispiel-Spielen mit einzubeziehen. In der Toolbox wollen wir mit ihrer Hilfe grundlegende Inhalte zusammenstellen, die niedrigschwellig einen kreativen Zugang zur Anwendung von Rollenspiel als Methode ermöglichen. 

Wie soll diese Toolbox praktisch funktionieren? Könnt ihr bereits Beispiele geben, wie Lernende oder Lehrende sie einsetzen können?

Die Toolbox soll Werkzeuge für verschiedene Ebenen des edukativen Spieles beinhalten. Dazu gehören neben beispielhaften Spielmechaniken und Inspirationswerkzeugen auch Techniken zur Vor- und Nachbereitung des Spiels.

Die Toolbox kann von Lehrer*innen zur Spielentwicklung zu einem bestimmten Thema genutzt werden, aber auch als Workshop mit den Lernenden, um diese bei der Entwicklung eigener Spiele zu begleiten. Sie kann bei der Festlegung von Regeln helfen und dabei, das Spiel zu reflektieren. Viele der Werkzeuge können auch in anderen Kontexten als Inspiration, Strukturierungshilfe oder zur Konsensfindung in Gruppenarbeiten eingesetzt werden.

Natürlich werden auch fertige, leicht zu verändernde Spiele in der Box sein, mit der sich verschiedene Inhalte erarbeiten lassen. So können die Lernenden beispielsweise ein Spiel ausprobieren, dann ein Werkzeug zur Reflexion nutzen um herauszufinden, was ihnen gefallen hat und was nicht. Je nach Bedürfnissen bietet die Box dann andere Regeln, Themen und Ideen an, wie sie das Spiel verändern können.

Was wollt ihr Lernenden oder Lehrenden durch euer Projekt sonst noch mitgeben?

Wir wollen zeigen, dass es sich lohnt, über Regeln nachzudenken und diese im Konsens so zu verändern, dass sie den Bedürfnissen derer entsprechen, für die sie gemacht sind. Wir glauben, dass sich Gesellschaft so kreativ und bedürfnisorientiert weiterdenken lässt.

Ihr habt bereits Workshops mit Interessenten durchgeführt. Was waren da bisher die Rückmeldungen?

Eine Rückmeldung war, dass die Spiele für viele der Teilnehmenden sehr neu und anders wirken als das, was sie gewohnt sind. Sie waren teils überrascht von der Tiefe und Dynamik der Imaginationswelten. Auch der kreative Umgang mit und die Reflexionsphase über Regeln war für die meisten neu.

Gab es bei eurer bisherigen Arbeit an „Zukunft erspielen“ bereits besonders herausfordernde oder lehrreiche Momente?

Die besten Lehrmeister*innen in unseren Playtests sind Spieler ohne Vorerfahrung, da diese uns ganz klar sagen können, welche Begriffe und Prozesse nicht vorausgesetzt werden können. Hier wurde deutlich, wie sehr schon ein einfaches Bild mit einer bestimmten stimmungsvollen Landschaft helfen kann, die Imagination zu lenken.

Das Element, welches die größte Herausforderung darstellt, ist die Sprache. Erzähllastige Spiele arbeiten mit Sprache und so kann Sprache auch schnell zur Hürde werden. Wir versuchen dies im Projekt durch leichte Sprache und Illustrationen zu berücksichtigen.

Die Spielenden müssen allerdings auch selbst bei ihren Beiträgen aufeinander achten. Das ist oft eine Stärke der Spiele, da sie hierfür auch Werkzeuge bereitstellen. Werden diese nicht genutzt und teilt sich jemand nicht mit, dann kann es aber auch zu Problemen kommen.

Wenn jemand nun Interesse an eurem Projekt oder am Einsatz von Rollenspielen im Bildungsbereich allgemein gewonnen hat, was könnt ihr dieser Person raten oder empfehlen?

Auf der Seite des LAGIP (Bonn Lab for Analog Games and Imaginative Play; www.gamelab.uni-bonn.de) der Universität Bonn teilen wir aktuelle Informationen zu dem Projekt und werden später auch öffentlich zugängliche Materialien verlinken.

Auch über meine Seite www.EduTale.de gibt es die neusten Informationen zu dem Projekt, aber auch viele andere Informationen zu Rollenspiel als Bildungsmethode.


Vielen Dank! Zum Abschluss: Gibt es noch etwas anderes, das euch besonders wichtig?

Wir sind der Auffassung, dass das transformative Potenzial analoger Spiele, insbesondere narrativer Spiele, bisher weit unterschätzt wurde. Wir freuen uns, dass das Thema nun auch an den Universitäten angekommen ist und wir durch die Projektförderung die Möglichkeit haben, ein Produkt für den Bildungsbereich entwickeln zu können. 

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