„In Anbetracht der globalen Herausforderungen kann Game-Based Learning kein Selbstzweck sein“ – Ein Interview mit Jan-David Freund

Dr. Jan-David Freund ist Experte für Entwicklungspsychologie, Pädagogik und die Entwicklung von Spielen und Spielzeug mit Bildungspotenzial. In diesem Interview erläutert er unter anderem, worin das Lernpotenzial von Spielen aus seiner Perspektive liegt, in welchem Zusammenhang Game-Based Learning mit Future Skills, Digitaler Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung steht und weshalb er ein Verfechter davon ist, beim spielerischen Lernen das Lernen möglichst gut zu verstecken.


Jan-David, Du befasst dich mit Spielen aus einer psychologischen und pädagogischen Perspektive. Worin liegt für dich das Potenzial von Spielen als Lernmedien?

Psychologisch und evolutionär betrachtet ist Lernen ein menschliches Grundbedürfnisse. Das liegt daran, dass wir als Spezies mehr als jede andere darauf angewiesen sind, unser Wissen und unsere Fähigkeiten von Generation zu Generation weiterzugeben.

Die Mechanismen, die sich da als effizienteste herausgestellt haben sind das Beobachten (Lernen am Modell) und Ausprobieren (Learning by Doing) möglichst oft zusammen mit anderen (Sozialkonstruktivismus) und das am oberen Rand unserer aktuellen Kompetenzen (Zone of Proximal Development, Scaffolding, „Hilf mir, es selbst zu tun!“). Und genau diese Mechanismen finden sich in manigfaltigster Ausprägung im Spielen.

Spielen erfüllt also eines unserer Grundbedürfnisse und wie bei allen Tätigkeiten, für die das gilt, belohnt uns unser Gehirn dafür mit positiven Gefühlen und einer anhaltenden intrinsischen Motivation zur Wiederholung. Aus der Geschichte unseres Schulsystems heraus, haben wir uns unvernünftigerweise entschieden, dieses Potenzial links liegen zu lassen, aber es gibt keinen Grund, an diesem Fehler festzuhalten.


In diesem (englischsprachigen) Vortrag vom Educators‘ Day erfahrt ihr mehr über Jan-Davids psychologische und pädagogische Perspektive auf spielebasiertes Lernen:


Auf deiner Homepage stellst du neben Game-Based Learning weitere Themen vor, die für deine Arbeit relevant sind. In welchem Zusammenhang stehen diese mit Game-Based Learning für dich?

Zum einen sehe ich Game-Based Learning in einem größeren Kontext des spielerischen und explorativen Lernens. Ich begeistere mich für viele Lehr- und Lernmethoden, die die Neugier und den Enthusiasmus von Kindern fördern und ihnen Raum zum Wachsen geben, anstatt sie zurückzuhalten und sie in traditionelle Denkmuster zu zwingen.

Ganz großartige Arbeit leistet da – nur um mal ein Beispiel zu nennen – die Stiftung Kinder forschen, die zwar kaum Spiele nutzen, aber die Kinder in ihrer Selbstbestimmtheit und Neugier ernst nehmen und sie über großartige MINT-Projekte motivieren, die Welt zu erkunden und besser verstehen zu lernen. Solche Themen nehme ich daher so wahr, dass sie in einem gemeinsamen Methodenkoffer mit dem Game-Based-Learning liegen, der sich durch diesen ressourcenorientierten Blick auf die Kinder und ein entsprechendes pädagogisches Selbstverständnis auszeichnet. Daher lohnt es sich auch, die Entwicklungen in diesen Bereichen im Blick zu behalten.

Die anderen Themen, in denen ich mich tummle sind Future Skills, Digitale Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Hier sehe ich es so: In Anbetracht der globalen Herausforderungen kann Game-Based Learning kein Selbstzweck sein. Diese Themen stellen für mich also eher Inhalte dar, für deren Vermittlung ich spielerisches Lernen empfehle. Ich könnte auch noch Demokratiebildung ergänzen, weil ich das nicht weniger wichtig finde, aber in diesem Bereich habe ich noch nicht genug Expertise sammeln können, als dass ich es angemessen fände, das ins Schaufenster zu stellen. Bei diesem Thema würde ich eher an Expert:innen wie Ronald Hild oder Marina Weisband verweisen.

Kannst du konkrete Beispiele nennen, wie Du das in deinen Projekten umsetzt oder anwendest?

Alle meine bisherigen Projekte bewegen sich immer irgendwo in diesem Spektrum. Es geht entweder um Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit wie bei meiner Beratung für Gaia Games, um Future Skills und Digitale Bildung wie bei meinen Referententätigkeiten für den arbeitskreis richtiges spielzeug und für HABA Pro oder manchmal auch um Demokratiebildung wie bei meiner Unterstützung für die Wertemonster von Christian Andrä und Ronald Hild.

Und was meine Quellen anbelangt, schöpfe ich entweder aus meinem Fachwissen aus der Psychologie und Pädagogik, meiner Erfahrung aus der Spielebranche oder meiner Leidenschaft fürs Spielen mit Freunden und meiner Familie. Mein Gehirn ist so nett, mir aus all diesen Einflüssen passende Ideen für die Aufgaben und Anfragen in meinen Projekten zusammenzubrauen. Am liebsten arbeite ich dabei direkt mit kreativen und pädagogisch tätigen Menschen zusammen, die meinen Input als Inspiration für ihre Arbeit nutzen können oder aber mit Institutionen mit Multiplikationswirkung wie Hochschulen oder der SPIEL Essen.

Ich habe immer wieder den Eindruck, dass Spiele vor allem in Kindergarten und Grundschule als Lernmedien etabliert sind, in weiterführenden Schulen oder Hochschulen hingegen deutlich weniger. Wie siehst Du das?

Diese Einschätzung teile ich. Der wichtigste Grund dafür ist wohl die bei uns traditionelle Verortung des Spielens in der Kindheit. Die Erwartung bei Vielen ist immer noch, dass man immer weniger spielt, je älter man wird, weil sie Spielen abgrenzen von den „ernsthaften“ Tätigkeiten eines Erwachsenen.

Aber diese Annahme ist gleich doppelt falsch. Sie unterschätzt nicht nur die Ernsthaftigkeit des kindlichen Spiels, das Maria Montessori völlig zu Recht als die „Arbeit des Kindes“ bezeichnet hat, sie ignoriert auch wie vielfältig Menschen ihr ganzes Leben lang vom Spielen profitieren können.

Ich sehe Spielen deswegen als die unterschätzteste Lernmethode von allen. Spielen motiviert, schafft verbindende soziale Situationen, verknüpft Themen, hilft beim Behalten von im Spiel versteckten Lerninhalten und vieles mehr. Es gibt wirklich keinen guten Grund, das älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vorzuenthalten.

Was sind deiner Erfahrung nach die größten Hürden für spielerische Lernmethoden in Unterricht und Lehre?

Viel häufiger, als dass es irgendwelche strukturellen Hindernisse gibt, ist es meiner Erfahrung nach die Haltung der Lehrenden, die dem entgegensteht.

Viele haben die oben beschriebene generell kritische Haltung und viele befürchten (meist zu Unrecht) eine negative Bewertung durch das pädagogische Umfeld. Dazu kommt, dass ein durchdachterer Einsatz von Spielen immer noch etwas mehr Vorbereitung und methodische Finesse erfordert, weil es zu wenig erprobte Lösungen gibt, die schon fertig für den Unterricht sind.

Und in der Ausbildung für pädagogische Berufe vermitteln wir auch nicht, wie man das gut hinbekommt. In Anbetracht all der anderen Anforderungen kann man es den Lehrenden also gar nicht verübeln, dass ihnen die Lösungen von der Stange näher liegen als pädagogische Experimente.

Umso wichtiger finde ich Angebote wie deinen Blog und euren Podcast, die Initiative Schule & Spiel oder den Educators‘ Day auf der SPIEL, die Inspiration, Motivation und Hilfestellung liefern. Wir als Community des Game-Based Learning haben da noch einen weiten Weg zu gehen, aber wir sind gut dabei und müssen einfach am Ball bleiben.

Du bringst ja auch viel Erfahrung aus der Spieleindustrie mit. Ich persönlich finde, dass es auf dem deutschsprachigen Markt durchaus mehr Spiele zum Lernen geben könnte – sei es für den weiterführenden Unterricht, aber auch zum Selbstlernen. Vielleicht sogar Verlage wie Genius Games, die sich darauf spezialisieren. 

Siehst du Möglichkeiten, wie dieses Angebot vergrößert werden könnte? Oder welche Hürden aus Verlagssicht dabei in erster Linie zu überwinden sind?

Dafür sehe ich vor allem zwei Gründe ursächlich. In Deutschland sind Eltern sehr vorsichtig damit, ihre Kinder zu Hause zu sehr zu fördern. Das hat schlicht einen schlechten Ruf und entsprechend kritisch werden beispielsweise asiatische Eltern beäugt, die ihre Kinder „auf Leistung trimmen“. Auch ich bin davon geprägt und hüte mich davor, mit meinen Kindern nur pädagogisch sinnvolle Dinge zu tun. 😉

Ein Stück weit ist diese kritische Grundhaltung aber auch überzogen, denn es gibt wirklich sehr schöne spielerische Lernangebote für zu Hause und keinen Grund, Kinder nicht beim Spielen herauszufordern und so zu fördern. Auch wenn diese Möglichkeiten über Social Media für Eltern mittlerweile sehr leicht auffindbar sind, wird uns diese Skepsis noch viele Jahre begleiten.

Man sollte auch nicht so tun, als ob Kinder auf all diese Angebote anspringen würden. Ich bin selbst ein Verfechter davon, beim spielerischen Lernen das Lernen möglichst gut zu verstecken und den (durchaus herausfordernden) Spaß ganz nach vorne zu stellen.


In diesem (ebenfalls englischsprachigen) Educator’s Day-Beitrag erläutert Jan-David, warum seiner Meinung nach das Lernen beim spielerische Lernen versteckt werden sollte.


Um auf deine Frage zurück zu kommen: Der erste Grund ist also, dass der Markt für alle Arten von Lernspielen in Deutschland stark auf pädagogische Institutionen beschränkt ist. Für Verlage ist er damit unattraktiv klein, wenn sie es nicht schaffen, einen guten Teil der Institutionen zu erreichen.

Und damit kommen wir zum zweiten Grund. Der Markt für pädagogisches Material wird in Deutschland von den Schulbuchverlagen dominiert. Historisch gewachsen haben sie einen besonderen Zugriff auf die Schulen und wenn man dann schon Mal eine Geschäftsbeziehung hat, dann verkaufen sich auch die weiteren Materialien viel einfacher. Newcomer mit einem etwas ausgefalleneren Angebot haben es also wirtschaftlich schwerer als in anderen Bildungsmärkten, in denen beispielsweise die einzelne Schule mehr Autonomie in der Beschaffung und Auswahl ihrer Lehrmittel und Lernmethoden genießt.

Und die Verlage mit gutem Draht in die Schule agieren in Deutschland eher konservativ und neigen zu – ich sag es jetzt einfach mal so hart – pädagogischem Mundgeruch. Es gibt hier zwar Innovationen auch in die Richtung spielerischen Lernens, aber diese Entwicklung verlief zumindest in den vergangenen Jahrzehnten viel zu langsam. Zu oft sind Lernspiele von diesen Verlagen mehr Lernen als Spiel und für Kinder kaum von klassischen Lehrmitteln zu unterscheiden.

Ich würde – von guten Ausnahmen abgesehen – daher vor allem auf Spiele setzen, die pädagogisch wertvoll sind, obwohl sie ursprünglich nicht für den pädagogischen Kontext entwickelt wurden. Zugegebenermaßen sind die für Lehrende schwerer zu finden, aber dank Angeboten wie deinem Blog bzw. eurem Podcast, gibt es für alle, die danach suchen, schon sehr viel großartige Anregung im Internet.

Herzlichen Dank! Gibt es noch etwas, das dir besonders wichtig ist und das Du ergänzen möchtest?

Ebenfalls vielen Dank! Ich freue mich wirklich sehr über dein Interesse an meiner Arbeit und ich bin schon lange ein großer Fan eures Podcasts.

Ich würde gerne noch auf die Empfehlungssammlung hinweisen, die ich auf meiner Homepage pflege. Ich ergänze dort regelmäßig neue Punkte und freue mich, wenn darüber jemanden auf ein inspirierendes Projekt oder eine zum eigenen Anliegen passende Institution stößt.

Ansonsten alles Gute dir und deiner Leser:innenschaft und weiterhin viel Erfolg dabei, das Spielen in die Klassenzimmer zu bringen!

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