Wie finde ich ein passendes Spiel für meinen Unterricht? – Teil 5: Spiele an den Unterricht anpassen

In Teil 5 dieser Reihe dreht sich alles um unterschiedliche Möglichkeiten, bestehende Spiele an den eigenen Unterricht anzupassen. Ausgehend von den typischen Bedingungsfeldern des didaktischen Designs, die du aus der Unterrichtsvorbereitung kennst, lernst du verschiedene Stellschrauben kennen – und erfährst so nebenbei auch ein wenig über (Educational) Game Design.

Drei verschiedene Ausgangspunkte

Wenn du ein Spiel an deinen Unterricht anpassen möchtest, bieten sich vor allem die 3 Ausgangspunkte an, die du in den vorangegangen Artikeln kennengelernt hast:

Drei Ausgangspunkte: Thematisch passende Spiele, Spielmechaniken und Genres

Didaktische Abstimmung

Egal welchen Ausgangspunkt du gewählt hast, wenn du ein Spiel nun an die Anforderungen deines Unterrichts anpassen möchtest, dann hilft als nächstes ein Blick auf die Bedingungsfelder des didaktischen Designs (Kerres 2021). Die sind dir aus deiner sonstigen Unterrichtsvorbereitung vermutlich wohlbekannt. Neben den Rahmenbedingungen wie Lernraum und Unterrichtszeiten zählen dazu Lernziele, Lerninhalte und vor allem deine Schüler*innen, also die Zielgruppe deines Lernangebots.

Mit Blick auf diese Bedingungsfelder lässt sich klären, ob ein Spiel wirklich das passende Medium für das Lernanliegen ist, ob es zum Lernstand der Schüler*innen, ihrem Alter und sonstigen relevanten Merkmalen passt. Dazu zählt auch die Schülerzahl. Gleiches gilt für die Lernziele und die Lerninhalte, die in der Regel durch Lehrpläne zumindest grob vorgegeben sind.

Insbesondere Rahmenbedingungen wie Technik und Ausstattung, oder der vorgegebene Stundentakt haben großen Einfluss. Wann und wie erlernen die Schüler*innen die Spielregeln. Kannst du dazu ein Erklärvideo oder Folien auf dem Beamer zeigen, oder sollten einzelne Schüler*innen die Regeln vorab vorbereiten und ihren Kleingruppen beibringen? Und was geschieht im Anschluss an die Spielphase?Kann das Spielerlebnis reflektiert oder diskutiert werden?

Hat man diese Bedingungsfelder im Blick, fällt es wesentlich leichter die eigentlichen Stellschrauben im Spiel zu handhaben. Übrigens, wenn du eine Hilfestellung zu den didaktischen Bedingungsfeldern bei der Arbeit mit Spielen suchst, in Geschichte in Spielen findest du dazu Checklisten (S. 95f).

Stellschrauben im Spiel

Kommen wir nun aber zu den eigentlichen Stellschrauben, um ein Spiel anzupassen. Hierfür gibt es die unterschiedlichsten Herangehensweisen. Ich möchte sechs Spielelemente vorstellen, die wir 2020 in unserem Edu Game Design Kurs hervorgehoben haben. Sie basieren auf der Arbeit des Institute of Play und haben sich für mich auch bei der Anpassung von Spielen für den Unterricht als sehr hilfreich erwiesen (s.u. „Ein Beispiel: Educationary“).

Gleich vorweg: Die drei am schwersten zu verstellenden Stellschrauben werden zu Beginn vorgestellt. Das liegt schlichtweg daran, dass ich der Abbildung (s.u.) aus unserem Kurs folge und dementsprechend mit den Spielzielen, Herausforderungen und Mechaniken beginne. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, erfährt weiter unten dann von einigen hoffentlich einfacher realisierbaren Anpassungsoptionen.

Spielelemente, die als Stellschrauben zur Anpassung an den Unterricht geeignet sind (Korrektur rechts unten: es sollte „Spielfeld/-welt“ heißen). Quelle: https://gamejam.digital-spielend-lernen.de/1-grundkenntnisse

Das Spielziel oder die Herausforderungen anpassen?

Wie eben erwähnt, sind Anpassungen des Spielziels oder der spielerischen Herausforderungen für den Anfang vermutlich etwas schwieriger. Denn hier greift man man in das Grundgerüst eines Spiels ein. Schwierig heißt zum Glück aber nicht unmöglich.

Ziele oder Herausforderungen, die dem eigentlichen Spielziel nicht im Wege stehen, können als „Side Quests“ (also Nebenaufgaben) ergänzt werden, zum Beispiel „sammle 3 Objekte der gleichen Art“, „finde XY“ oder „erreicht gemeinsam XY“. Natürlich müssen derartige Ziele zu den grundsätzlichen Dynamiken des Spiels passen. Da braucht es sicherlich etwas Erfahrung.

Einfacher ist es da für den Anfang, die Sieg- oder die Spielendbedingungen anzupassen. So kann man ganz einfach auf die eigentlich im Spiel vorgesehene Wertung verzichten, oder die zum Sieg notwendige Punktanzahl anpassen. So kann man den kompetitiven Aspekt eines Spiels verändern. Oder man wertet als ganze Spielgruppe oder in Kleingruppen, anstelle von individuellen Wertungen.

Das Gleiche gilt für das Auslösen des Spielendes: Es kann auch erst ausgelöst werden, wenn die Spielenden als Gruppe etwas erreicht haben – anstelle einer einzelnen Spielerin. Ein weiteres Beispiel wäre die Zahl der Sieger beziehungsweise Verlierer anzupassen, die in einem Spiel vorgesehen sind.

Schadet nicht: Anpassungen testen

Natürlich braucht es auch dabei Fingerspitzengefühl. Das gilt letztlich für alle Änderungen am Spiel. Am Besten testet man deshalb alle Modifikationen, bevor man das Spiel mit den eigenen Schüler*innen nutzt.

Oder man testet das angepasste Spiel gemeinsam mit ihnen. Das fällt leichter, wenn die eigene Unterrichtskultur ohnehin schon von projektbasiertem und problembasiertem Lernen oder anderen partizipativen Lernformen geprägt ist. Dann fällt es einem auch als Lehrperson leichter, Fehler zu machen und Lernangebote transparent weiterzuentwickeln.

Partizipatives Design ist aber auch unter anderen Vorzeichen möglich – solange man den Lernenden gegenüber transparent bleibt und ihre Mitwirkung am Entwicklungsprozess wertschätzt. Meine persönlichen Erfahrungen damit, Schüler*innen in Designprozesse mit einzubeziehen, waren bislang jedenfalls sehr gut.

Mechaniken anpassen? Auch eher schwierig

Aber weiter zur nächsten Stellschraube: Wie sieht es mit Anpassungen an den Spielmechaniken aus? Hier manipuliert man ebenfalls den Kern eines Spiels und bewegt sich somt oft auch in Richtung Neuentwicklung.

Betrachtet man die unglaubliche Anzahl an Neuerscheinungen im Brettspielbereich jedes Jahr – auf der SPIEL Essen 2024 waren es alleine 1562 Neuheiten – dann stellt man immer wieder fest, dass viele neue Spiele gekonnte Re-Kombinationen bewährter Mechanismen sind. Natürlich können diese Neuentwicklungen dazu oft noch mit einem neuartigen Element oder einem anderen besonderen Twist aufwarten.

So oder so bleibt das Anpassen von Spielmechaniken meines Erachtens eine der etwas schwereren Disziplinen. Wer sich daran versuchen will, dem möchte ich noch einmal das im letzten Artikel dieser Reihe vorgestellt Prinzip der Lernziel-Kernmechanik-Anpassung ans Herz legen, oder – wenn man systematischer Vorgehen will – den erwähnten Edu Game Design Kurs. Und wer am liebsten spielerisch Ideen entwickeln möchte, dem kann ich – nicht nur für die Anpassung von Mechaniken sondern ganz allgemein – das Snaddering-Prinzip von Kevan Davis und Viviane Schwarz empfehlen. In ihrem Spielbuch Brettspiele erfinden, gestalten, spielen erhält man viele Adaptions-Ideen, ganz konkret durch die Auseinandersetzung mit einfachen Würfel-Lauf-Spielen.

„Snaddering“ bietet einen spielerischen Einstieg in die Adaption von Spielen.

Das klappt häufig: Material und Spielfeld anpassen

Kommen wir nun aber zu den Aspekten, die sich oft leichter anpassen lassen. Klar, das erfordert immer noch Arbeit, aber gerade die Komponenten beziehungsweise das Material sowie das Spielfeld bieten gute Ansatzpunkte, um ein Spiel an den eigenen Unterricht anzupassen.

Hier kann man Inhalte aus Unterrichtsthemen ergänzen. Nehmen wir zum Beispiel Lerninhalte aus dem Biologieunterricht oder Landeskundethemen im Sprachunterricht. In einem Spiel wie Terra kann man als zusätzliches Material Wissenskarten anfertigen. Oder man passt die Skalen auf dem Spielfeld an. In Terra schätzt man auf ihnen sein Wissen ein, in den Kategorien Gebiet, Jahr, Länge/Distanz und Anzahl.

Zu den Unterrichtsthemen passende „Skalen“ könnten im Sprachunterricht beispielsweise Zeitform, Kulturkreis/Land oder Wortart umfassen. In Biologie könnten Merkmale, Funktionen oder Rangstufen der biologischen Systematik (Gattung, Familie, Ordnung, …) aufgeführt werden.

Dieses Prinzip lässt sich auf andere Spiele und Fächer übertragen. Ein weiteres Beispiel neben selbst erstellten Wissenskarten und Skalen sind zusätzliche oder neue Ereignisfelder beziehungsweise -karten.

Auch didaktisch sinnvoll: Schüler*innen in die Anpassung mit einbeziehen

Man braucht die ganze Anpassungsarbeit dabei übrigens nicht ausschließlich selbst machen. Sie lässt sich auch in den Unterricht didaktisch sinnvoll einbinden. Für unseren Podcast Das spielende Klassenzimmer haben wir verschiedene Spielideen in der sogenannten Spieleschachtel gesammelt. Für die Spiele Codenames und Time’s Up sind dort Methoden aufgeführt, die dazu dienen, Fachbegriffe und Vokabeln zu wiederholen und zu vernetzen.

Die dabei verwendeten Begriffe und Vokabeln sammeln die Schüler*innen vor dem eigentlichen Spiel in Gruppenarbeit oder im Plenum und halten sie anschließend auf Spielkarten fest. So haben sie sich in die Entwicklung der Spielmaterialien eingebracht – und sich dabei direkt mit den Lerninhalten befasst.

Thematische Anpassungen

Manchmal möchte man vielleicht nicht nur einzelne Inhalte ergänzen oder anpassen, sondern das gesamte Thema eines Spiels verändern. Das ist natürlich auf die gleiche Weise wie bisher geschildert möglich, gestaltet sich nur eben etwas umfangreicher.

Anregungen dazu bietet ebenfalls das bereits erwähnte „Snaddering-Buch“ von Davis und Schwarz. Wer eine kleine Geschichte dazu entwickeln möchte, kann auch auf Story Cubes zurückgreifen. Und wer einen richtigen Plot erspielen möchte, kann auf Untold – Adventures Await zurückgreifen, bei dem ebenfalls die Story Cubes zum Einsatz kommen.

Mehr Thema und Storytelling kann man mit Snaddering, Story Cubes oder Untold erarbeiten.

Und wie sieht’s mit den Spielregeln aus?

Wer genau aufgepasst hat, der hat sicherlich bemerkt, dass aus der obigen Abbildungen mit den 6 Spielelementen noch ein Punkt fehlt: die Regeln.

Hier sind erstaunlich viele Anpassungen möglich, seien es vereinfachte oder anderweitig angepasste Regeln – in Brettspielkreisen sind sogenannte „Hausregeln“ gang und gäbe –, zusätzliche oder andere Spielphasen, eine veränderte Spieldauer oder Rundenanzahl, das Hinzufügen oder Entfernen eines Timers, um Entscheidungsdruck auf- oder abzubauen, oder Anpassungen bei der Spieleranzahl, zum Beispiel auch durch die Bildung von Teams oder größeren Spielgruppen.

Ebenso kann der Spiel-Modus verändert werden. Aus einem rein kompetitiven Spiel, bei dem alle gegeneinander spielen, lässt sich ein (semi-)kooperatives Spiel gestalten, bei dem verschiedene Teams gegeneinander oder gemeinsam gegen das Spiel spielen. Das Klassenquiz in der bereits erwähnten Spieleschachtel ist so ein Beispiel. Mein Kollege Daniel Bernsen stellt es auch in seinem Educators‘ Day Beitrag Schulregeln fürs gute Miteinander – Vom kompetitiven zum kooperativen Spielsetting. Auch darüber hinaus enthält sein Beitrag sehr viele empfehlenswerte Tipps was die Anpassung von Spielen an den Unterricht angeht.

Enthält viele weitere neben den im Artikel geschilderten Methoden zu Codenames, Time’s Up und Klassenquiz: Die Spieleschachtel unseres Podcasts Das spielende Klassenzimmer.

Als letzte Anregung zur Anpassung von Spielregeln: Oft lassen sich besondere Rollen oder Missionen während des Spiels vergeben. Einige Schüler*innen können Beobachter sein. Oder einzelne Spielaktionen können wie bei Magic Maze auf verschiedene Spieler*innen aufgeteilt werden. Dadurch kann ein Spiel schnell zu einer spannenden kooperativen Herausforderung werden – oder es können sich einfach mehr Personen am Spiel beteiligen.

Habe ich jetzt etwas neues erschaffen?

Wenn man auf die beschriebenen oder andere Arten und Weisen ein Spiel nun an den eigenen Unterricht angepasst hat, dann ist das auf jeden Fall eine großartige Leistung. Eine Leistung, die sich hoffentlich lohnt und für die Schüler*innen ein motivierendes Lernangebot darstellt.

Diese Leistung will man dann vielleicht auch gerne mit anderen Lehrenden teilen. Das ist absolut nachvollziehbar, dennoch sei dazu an dieser Stelle ein kleiner Hinweis angebracht mit Blick auf die Arbeit der ursprünglichen Autor*innen und Verlage, deren Spiele der Ausgangspunkt dieser Leistung waren.

Denn die ursprünglichen Schöpfer sind eventuell nicht so sehr darüber erfreut, wenn man das Ganze als seine eigene Leistung öffentlich darstellt und teilt. Das Stichwort hier ist offensichtlich Plagiat. Wenn man nur Inhalte ergänzt und einfache Anpassungen oder thematische Änderungen vornimmt, dann ist das für den Rahmen des eigenen Unterrichts sicherlich unproblematisch. Für eine Veröffentlichung muss jedoch die sogenannte Schöpfungshöhe bedacht werden. Die mit größten Skandale im Brettspielbereich, denen ich bislang begegnet bin, waren nicht lizenzierte und damit nicht autorisierte „Re-Themes“ bereits bestehender Titel.

Von daher sollte man unbedingt darauf hinweisen, wo man sich bedient hat und auf wessen Schultern man die Adaption entwickelt hat. Ein Hinweis auf das Originalspiel bietet sich an. Und anstelle der Bereitstellung von Spielinhalten kann man methodische Erläuterungen teilen – wie wir in der Spieleschachtel. Und wenn man eine besonders gute Idee hat, aus der sich vielleicht auch etwas mehr machen ließe, warum nicht mal an den Verlag oder die Autor*innen des Spiels wenden und fragen, welche Optionen sie sehen?

Ein Beispiel: Educationary

Ich selbst habe das 2018 mit Educationary gemacht, einem einfachen Brainstorming-Spiel/Gamification-Tool, das eine Adaption des Storytelling-Spiels Nanofictionary von Looney Labs ist. Der Verlag hat mir die Bereitstellung von Educationary als kostenlosem Download erlaubt, unter der Bedingung, dass ich einen Lizenzhinweis anbringe.

Unterrichtskonzepte mit „Schleifchen“

Damit wären wir am Ende dieser Anleitung für das Anpassen von Spielen an den eigenen Unterricht angelangt. Viele weitere Optionen sind denkbar, vieles wirst du sicherlich noch entdecken oder selbst erarbeiten. Dabei wünsche ich dir viel Erfolg und Spaß!

Nicht vergessen sollte man vielleicht abschließend, dass auch die Anpassung von Spielen insgesamt ein iterativer, also ein sich wiederholender Prozess ist, bei dem man häufig mehrere Entwicklungsschleifen durchläuft. Wie beschrieben sind Tests dabei sehr hilfreich, mit Unterstützung der Schüler*innen oder ohne.

Und Veränderungen am Spiel erfordern eventuell Anpassungen beim allgemeinen didaktischen Design. Vielleicht sollte das angepasste Spiel in eine andere Unterrichtsphase eingebunden werden. Oder es braucht eine andere Sozialform. Oder bestimmte Inhalte müssen vorentlastet werden. Schaue am Besten immer mal wieder auf dein gesamtes Unterrichtskonzept. So stellst du am einfachsten sicher, dass der Einsatz des Spiels auch wirklich zu deinem angestrebten Unterrichtsziel passt.

Literatur

Behnke, D. und Bernsen, D. (2022): Geschichte in Spielen: Was steckt dahinter?, Augsburg: Auer Verlag.

Davis, K. und Schwarz, V. (2020): Brettspiele erfinden, gestalten, spielen, Frech Verlag.

Kerres, M. (2021): Didaktik. Lernangebote gestalten, Münster: Waxmann UTB.

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