Was ist Gamification – und was ist es nicht?!

Viele Experten und Designer, die von Gamification sprechen oder das Ganze selbst anwenden, wären vermutlich/hoffentlich mit folgender Definition einverstanden:

„Gamification is the use of game design elements in non-game contexts.“  

Deterding, Dixon, Khaled, & Nacke (2011)

Frei übersetzt: Gamification ist der Einsatz von Spielelementen in spielfremden Kontexten.

Doch was bedeutet das? Wie funktioniert Gamification? Wie benutzt man sie?

Gamification = Design

Ich verstehe das so:  Im Grunde ist Gamification ein interdisziplinär ausgerichteter Design-Ansatz. Es ist eine Herangehensweise an die Gestaltung unterschiedlichster Angebote, die sich dadurch auszeichnet, dass man das jeweilige (spielfremde) Konzept oder Design aus der Spiele-Perspektive betrachtet.

Und dabei kommen Prinzipien, Methoden, Modelle und Theorien aus diversen Bereichen zum Einsatz: Natürlich aus dem Game Design, aber (damit) z.B. auch aus den Bereichen UX, Pädagogik und Psychologie.

Ich habe mir persönlich dazu folgendes Bild zurechtgelegt.

Die „Spielebrille“ 

Mit der „Spielebrille“…

Bei Gamification betrachte ich einen spielfremden Kontext sozusagen durch die „Spielebrille,“ gewissermaßen mein „Lieblings-Gamification-Tool.“

Konkret heißt das für mich: Bei der Konzeption von Lernangeboten, also beim didaktischen Design, versuche ich nicht nur in „klassischen“ didaktischen Mustern und Kategorien zu denken, sondern ich übe mich auch darin aus der Perspektive eines Spielers, oder vielleicht sogar eines (angehenden) Spiele-Designers auf das Lernangebot zu schauen.

… das Design von Lernangeboten mal aus einer anderen Perspektive betrachten.

Wie kann ein Lerngegenstand zu einem herausfordernden Problem werden? Wie kann man diese Herausforderung staffeln, wie wird sie nach und nach komplexer? Wie werden die Lernenden durch das Lernangebot geführt? Was motiviert die Lernenden sich (freiwillig) den „Lernproblemen“ zu stellen? Haben die Lernenden interessante Optionen zur Auswahl? Ist das Lernangebot in irgendeiner Form bedeutsam für die Lernenden? …

Game Design = Didaktisches Design?

Im Kontext des didaktischen Designs überschneiden sich dabei immer wieder spielerische Prinzipien und didaktische Prinzipien. Was auch nicht weiter verwundert: James Paul Gee (2007) hat z.B. sehr schön aufgezeigt wie groß die Parallelen zwischen erfüllendem Spielen und erfolgreichem Lernen sein können; beide folgen ähnlichen, wenn nicht den gleichen Prinzipien. 

Ganz verzichten sollte man auf das didaktische Design deshalb natürlich nicht! Denn dabei werden viele relevante Aspekte berücksichtigt, die bei einem ausschließlichen Blick durch die Spielbrille vielleicht unberücksichtigt blieben – etwa (hoch)schulische Rahmenbedingungen, Lernziele & Kompetenzen oder die Organisation des Unterrichtsablaufs. In meinem Verständnis muss man also immer wieder wechseln zwischen Spielebrille und „Didaktik-Brille“ – und puzzled so das gamifizierte didaktische Design zurecht.

Oberflächlichkeiten

Was sind nun aber „Spielelemente.“ Je nachdem ob man ein analoges oder ein digitales Spiel betrachtet, fallen verschiedene offensichtliche Elemente recht schnell ins Auge: Spielfiguren, Spielfelder, Punkte, Levels, Badges, Ranglisten, Würfel, Karten,… Durch solche Bestandteile an der Oberfläche von Spielen interagieren wir mit Spielen; sie sind also ein wesentlicher Bestandteil.

Das Problem ist jedoch: Versucht man nur solche Spielelemente in der Lehre oder im Unterricht einzusetzen, bleibt man spielerisch genau da, wo diese Elemente herkommen: an der Oberfläche.

Punkte sind eines dieser oberflächlichen Elemente. Badges ebenso, oder auch Ranglisten (Leaderboards). Werbach & Hunter sprechen hier auch von der PBL-Triade (2012). Alle drei sind wichtige Feedback-Elemente in Spielen! Aber für sich alleine genommen haben sie meistens keine wirkliche Bedeutung. Bedient man sich also nur solcher oberflächlicher Spielelemente, dann nutzt man tendenziell nicht wirklich die mächtigen, tiefgründigen spielerischen Prinzipien.

Pointsification & Zombification

Wenn man zudem nur auf Punkte oder Badges setzt (oder auf andere ausschließlich extrinsisch motivierende Spielelemente), dann erstellt man, wie Roman Rackwitz zurecht kritisiert, im Grunde nur ein „Bestechungssystem“:

By offering points and badges as a tool to persuade, you simply [create] a bribery system.“

romanrackwitz.de

Steven Conway spricht in so einem Fall auch von „Zombification“ – ein eindrückliches Bild für den fatalen Fokus ausschließlich auf extrinsische Motivation.

Was soll es dann sein?

Genau genommen heißt es in der Definition von Deterding, Khaled und Nacke nicht „Spielelemente“, sondern „Game Design-Elemente“. Das macht die Definition in meinen Augen bereits vielschichtiger: es geht nicht nur um die offensichtlichen Spielebestandteile oder extrinsisch motivierende Elemente. Sie spielen zwar auch eine wichtige Rolle, aber nicht alleine. Denn es geht v.a. auch um zugrundeliegende Mechaniken und Design-Prinzipien.

Dazu dann in einem der nächsten Blog-Beiträge mehr. Weiter geht’s im Themenspecial mit Gedanken dazu, weshalb es sich lohnt zwischen Gamification, Serious Games und Game-Based Learning zu unterscheiden.

Literatur

Deterding, S., Dixon, D., Khaled, R. & Nacke, L. e. (2011). Gamification: Toward a Definition. CHI 2011, aufgerufen am 28.06.2019.

Conway, S. (2014). Zombification?: Gamification, motivation, and the user. Journal of Gaming & Virtual Worlds, aufgerufen am 28.06.2019.

Gee, J. P. (2007). What Video Games Have to Teach aus About Learning and Literacy (2nd Edition), New York u.a.: Palgrave Macmillan.

Rackwitz, R. How to get started with gamification – onboarding, romanrackwitz.de, aufgerufen am 28.06.2019.

Werbach, K & Hunter, D. (2012). For the Win. Philadelphia: Wharton Digital Press.

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Wie der Titel verrät: Dieses Themenspecial ist meinem Arbeitsschwerpunkt „Gamification in Schule und Hochschule“ gewidmet. Ich befasse mich seit 2009 mit der Entwicklung und dem Einsatz von spiele-basierten Lernformen wie Gamification und GBL im sekundären und tertiären Bildungsbereich. Als Lehrer habe ich u.a. gamifizierte Lerneinheiten erstellt und im Unterricht eingesetzt. Im Rahmen meiner mediendidaktischen Arbeit berate ich außerdem Hochschullehrende zum Thema Gamification, seit 2017 auch in Workshops. Dieses Themenspecial ist aus den Inhalten dieser Workshops entstanden.