Das kleine Gamification-1×1 – Kompetenzerleben in Spielen und im Unterricht

In diesem Artikel werden Spielelemente vorgestellt, die Kompetenzerleben fördern und so die Lernmotivation steigern können.

„Kompetenzerleben“ ist einer der Quadranten im Gamification-Kompass, den ich in einem früheren Beitrag vorgestellt hatte. Zum Hintergrund: Der Kompass hilft mir gezielt nach solchen Spielelementen Ausschau zu halten, die  selbstbestimmte Lernmotivation & sinnbildendes Lernen ermöglichen.

Im Grunde ist es ganz einfach: Wenn wir Menschen uns als kompetent erleben, dann fördert das unsere Motivation. Soweit die Theorie. Doch wie kann das in der (schulischen) Praxis aussehen? Dazu gibt es natürlich eine Vielzahl an Vorschlägen und praktisch erprobten Herangehensweisen. In diesem Blog-Beitrag geht es darum, wie in Spielen Kompetenzerleben ermöglicht wird und wie man diese Elemente auf den Unterricht übertragen kann.

Probleme, Probleme… nichts als Probleme

Wenn man so will, dann sind Spiele nichts anderes als unnötige Probleme. Probleme, denen wir uns freiwillig stellen – und für die wir oft sogar viel Geld an der Ladentheke oder im Online-Store liegen lassen.

Das ist natürlich nicht die ganze Wahrheit. Schließlich sind Spiele schön gestaltet, bieten eine spannende Geschichte oder eine immersive Spielwelt, in die man eintaucht. Dennoch, der Kern eines guten Spiels ist oft die Herausforderung, die ein interessantes Problem mit sich bringt.

Kern vieler guter Spiele: interessante Probleme bzw. Herausforderungen wie hier in World of Goo von 2DBoy (2008).

Und im Grunde ist das beim schulischen Lernen nicht anders. Deshalb ist Problemorientierung bzw. problembasiertes Lernen auch ein verbreitetes didaktisches Prinzip (Kerres, 2018). Man braucht somit nicht explizit Spiele heranzuziehen, um ansprechende Probleme für den Unterricht zu entwickeln. Aber es kann sich doch auch lohnen, das ein oder andere Element bei Spielen abzuschauen.

So können gerade viele digitale Spiele als komplexe Probleme betrachtet werden, die nach und nach gelöst werden. Man lernt Schritt für Schritt, von Level zu Level. Man schaltet neue Fähigkeiten frei und kann mit diesen neue und schwerer werdende Herausforderungen meistern. So kommt man im Spiel voran. Und dieses Vorankommen erlebt man hautnah, bis man schließlich das komplexe Problem – z.B. das Level, den Zwischengegner oder das gesamte Spiel – gemeistert hat.

Missionen

Natürlich ist in Spielen selten von Problemen die Rede. Ein häufig verwendeter Begriff ist „Mission“. Auch schulische Lerninhalte können als Missionen dargeboten werden. Die Quest to learn (Q2L) -Schulen organisieren ganze Unterrichtseinheiten nach dem Prinzip des Quest-based learning (QBL). Quests sind dabei die einzelnen Abschnitte – man könnte auch sagen „Abenteuer“ – einer größeren Lernmission. Ergänzt durch Storytelling entstehen so Unterrichtserlebnisse, die eine ganz neue Bedeutung bekommen. Schließlich geht es dann nicht nur darum, einfach „nur zu lernen“. Es steht viel mehr auf dem Spiel, schließlich muss die Mission erfolgreich abgeschlossen werden. Das heißt natürlich auch, dass man etwas lernen muss, um das Problem, um das es geht, zu bewältigen. Aber: das muss ja nicht extra erwähnt werden.

Ein Beispiel für problemorientiertes Lernen mit einer Mission (bzw. Quest-based Learning): Das Mission Pack Dr. Smallz (Quelle: Institute of Play, aufgerufen am 24.03.2020)

Challenges

Ein weiterer Begriff, der inzwischen auch immer öfter in Unterrichtskontexten verwendet wird, ist die „Challenge“. Spiele bieten wie gesagt ansprechende Probleme, oder anders gesagt, Herausforderungen (i.e. „Challenges“). Und zwar nicht irgendwelche, sondern angenehm frustrierende Herausforderungen, die Kompetenzerleben fördern.

Hat man ein Spiel gefunden, das einem liegt, dann versucht man auch mehrmals, die Herausforderungen darin zu meistern. Man könnte auch sagen, das Scheitern darin macht fast schon Spaß (vgl. Juul, 2015). Natürlich nur, wenn wir dabei letztlich doch Wege finden, uns zu verbessern (= zu lernen) und es schließlich doch schaffen.

Wichtige spielerische Voraussetzungen dafür gelten genauso im Unterricht. Man muss wissen, worum es eigentlich geht. Es muss transparent sein, was das (Lern)ziel ist, und was man tun kann, um es zu erreichen (McGonigal, 2012; s.a. unten „Ziele“).

Möchte man z.B. das bereits erwähnte QBL im Unterricht praktizieren, dann sollte man darauf achten, dass die einzelnen Quests (bzw. je nach Wortwahl die „Challenges“ oder „Abenteuer“) inhaltliche Herausforderungen des Unterrichts spiegeln. Passen sie zu den Lernzielen und zu den -inhalten?

Natürlich kann man auch ganz andere spielerische Herausforderungen in den Unterricht tragen – mit oder ohne QBL. EduBreakouts sind beispielsweise ein beliebtes Format für den Schulunterricht. In diesem Padlet von Elke Noah sind viele hilfreiche Tipps für den Einstieg festgehalten:

Außerdem wird man in sozialen Netzwerken – wie auch bei vielen anderen Bildungsthemen – z.B. bei Twitter fündig:

Viele hilfreiche Hinweise zur Erstellung von EduBreakouts bieten z.B. Stefan Schwarz und Verena Knoblauch.

Digitale Schnitzeljagden bzw. geführte Touren, die man z.B. mit Actionbound bzw. BIPARCOURS erstellt, eignen sich ebenfalls. Und auch Quizformate wie Kahoot können kleinere Challenges bieten. Natürlich kommt es darauf, sie sinnvoll in den Unterricht einzubinden. Etwa zur Wiederholung wichtiger Fachinhalte zu Stundenbeginn, oder zur Aktivierung von Vorwissen beim Einstieg in ein neues Thema. Das geht bei Kahoot übrigens nicht nur einzeln, sondern auch im Team.

Aktives Lernen

Aktives Lernen ist – wie Problemorientierung – ebenfalls ein etabliertes didaktisches Prinzip (Hallet, 2006). Durch eigenes Handeln nimmt man am Lernprozess aktiv teil, kann sich selbst einbringen und eigene, konkrete (Lern-)Produkte erstellen. So kann man die eigene Kompetenz konkret erleben.

Nicht nur bei Q2L hat dieses Prinzip einen entscheidenden Stellenwert, sondern auch in vielen Klassenzimmern und Lernräumen ohne explizit spielerisches Konzept. Die Jungen Tüftler betonen z.B. ebenfalls die Bedeutung von „Begreifen“ und „Ausprobieren“ für ihren Lernansatz.

Im Schulunterricht gehört im Endeffekt auch jede zehnminütige Partner- oder Gruppenaktivität dazu. Z.B. im Fremdsprachenunterricht, wenn durch einfache Activities dafür gesorgt wird, dass tatsächlich in der Fremdsprache miteinander gesprochen wird.

WORD! ist eine spielerische Aktivität, die aktives Lernen im Fremdsprachenunterricht fördern kann.

Die aktive Auseinandersetzung mit Lerninhalten ist natürlich auch in Einzelarbeit möglich. Spielerische und interaktive Formate können hier ebenfalls genutzt werden, um für Aktivität zu sorgen; analog (z.B. das History Dinner von Karen Knight/Julia Reiche, s.u.) wie digital (z.B. Code it).

Damit wären die Beispiele, die im Artikel „Orientierung finden mit dem Gamification-Kompass“ erwähnt wurden – Problemorientierung, angenehm frustrierende Herausforderungen & aktives Lernen (s. Bild unten) – etwas genauer beschrieben.

Es gibt selbstverständlich noch weitere Elemente, die Kompetenzerleben in Spielen fördern. Viele Autoren wie Sebastian Deterding (2011), Jane McGonigal (2012) oder Yu-Kai Chou (2014) nennen weitere Beispiele. Scott Rigby und Richard M. Ryan (2011) beziehen sich dabei ebenfalls auf die Kategorie „Kompetenzerleben“ – und insgesamt auf die Selbstbestimmungstheorie von Ryan & Deci (2000).

In diesem Artikel möchte ich noch auf zwei Elemente eingehen: Feedback & Ziele. 

Feedback

Kompetenzerleben wird vor allem dann spürbar, wenn man entsprechende Rückmeldungen, also Feedback, dazu bekommt: Ist das eigene Handeln erfolgreich? Verbessert man sich? Und damit implizit: Hat man etwas dazugelernt? In Spielen bekommt man solches konstruktives, positives Feedback z.B. durch Punkte, Badges und Ranglisten – vorausgesetzt sie spiegeln tatsächlich eine Leistung bzw. einen Fortschritt und bieten nicht nur Belohnungen (vgl. „Zombification„) ohne jeglichen sinnvollen Bezug zu den eigenen Handlungen.

In Lernsituationen an Schulen und Hochschulen gehören zu den typischen Feedback-Formaten z.B. Einzelgespräche, Sprechstunden oder Peer Reviews. Feedback erhalten die Lernenden aber auch sozusagen zwischendurch und eher unbewusst. Z.B. wenn die Lehrenden die Namen der Lernenden kennen.

Für gamifizierten Unterricht bzw. den Einsatz von Spielelementen im Unterricht besteht die Kunst u.a. darin, passende Feedback-Formate zu den herausfordernden Aktivitäten (z.B. Quests) zu bieten. Eine Option sind „Skill Trees“. Das sind Übersichten zu den erlernbaren Kompetenzen bzw. Visualisierungen der verfügbaren Lernpfade/Lernziele. So erhält man Feedback dazu, wo man steht, was man schon kann und welche Herausforderungen man als nächstes angehen kann (s.a. „Kompetenzerleben durch Skill Trees“ im letzten Blog-Artikel dieser Reihe).

Videospiele bieten viel Feedback, u.a. in Skill Trees wie hier in Assassin’s Creed Odyssey (Ubisoft, 2018). So weiß man immer, welchen Skill/welche Kompetenz man verbessern kann.

Zwei hilfreiche Methoden beim erstellen von Skill Trees bzw. Lernpfaden ist das (Grundprinzip des) Scaffolding und das, was Roman Rackwitz als „Triple-R-Combo“ bezeichnet.

Scaffolding meint verallgemeinert soviel wie „ein Gerüst bereitstellen“: Man unterstützt die Lernenden v.a. zu Beginn durch kleinschrittige Anleitungen, Tutorials, transparente Zielvorgaben etc. und reduziert diese Hilfsangebote mit der Zeit, so dass die Lernenden sich eigenständiger mit den Inhalten befassen können. So kann auch das Erleben des Vorankommens, die Progression durch die Inhalte, und damit das Kompetenzerleben unterstützt werden. Es ist gleichzeitig sinnvoll, wenn die Lernenden schrittweise die benötigten Kompetenzen erwerben können (Deterding 2011). Beim erwähnten QBL etwa können die Quests so angeordnet werden, dass man nach und nach die Kompetenzen erlernt, die man zur Bewältigung der gesamten Mission benötigt.

Die Triple-R-Combo steht für den Gedanken „Reframing Rewards as Resources“. Wenn man mit spielerischen Feedback-Elementen arbeitet geht es darum, dass diese am Ende einer gemeisterten Aufgabe nicht so sehr als Belohnung für das Geleistete aufgefasst werden, sondern vielmehr als Ressource für die nächsten anstehenden Aufgaben. In diesem Video erklärt Roman Rackwitz seine Ansatz genauer.

In Spielen können noch viele weitere Feedback-Elemente entdeckt werden. Fortschrittsbalken & Angaben zum Status („Du hast bereits 70% geschafft“, „Nur noch … und du hast es geschafft“), Karten – auch mit noch verdeckten Gebieten („Hier gibt es noch etwas zu entdecken!“), Musik & Sounds, u.v.m.

Beispiel für weitere Feedbackelemente zu den nächsten Spieloptionen in 7 Billion Humans (Tomorrow Corporation, 2018)

Es gibt einen großen Vorteil, den Spiele gegenüber herkömmlichem Schulunterricht oder Hochschullehre bieten: zeitnahes, individuelles Feedback. Im Klassenzimmer ist eine 1:1-Betreuung oder 1:1-Feedback schwer machbar. Möchte man z.B. Punkte, Badges oder ähnliches im Rahmen einer Mission mit Quests vergeben, dann ist das analog machbar – aber aus eigener Erfahrung in verschiedenen Klassen weiß ich, dass es extrem aufwändig und zeitintensiv ist. Abhilfe können hier digitale Tools zum Classroom Management bieten. Ein Beispiel: Classcraft bietet eine gamifizierte Umgebung. Man kann aber viele andere Tools nutzen, die nicht explizit mit dem Begriff „Gamification“ werben und sie auf den eigenen didaktischen Bedarf abstimmen.

Ziele

Klare Ziele geben uns Orientierung. Dank ihnen wissen wir, was von uns erwartet wird, wir können Lösungsversuche angehen und ggf. gemachte Fehler reflektieren und neue Lösungswege erproben.

Deshalb sind transparente Lernziele bzw. die beabsichtigten Lernergebnisse hilfreich und werden z.B. in didaktischen Ansätzen wie dem Constructive Alignment besonders hervorgehoben. Diese Ziele sind nicht nur für die Lernenden wichtig, damit sie wissen, was am Ende geprüft wird; sondern auch für die Lehrenden, damit sie relevante Lerninhalte auswählen können.

Auch Spiele bieten Ziele. Dabei sind größere Ziele (die Mission erfüllen) oft unterteilt (nach Level), man kann zwischen verschiedenen Zielen (Levelauswahl im Menü) oder zwischen verschiedenen Schwierigkeitsgraden wählen; es gibt optionale Ziele (Nebenmissionen/Side Quests oder freischaltbare Zusatzinhalte); und man kann bisweilen auch selbst Ziele stecken (s.a. Deterding, 2011; Juul, 2015).

Auch das lässt sich auf Unterricht übertragen. Man kann langfristige (z.B. für die Unterrichtseinheit) und kurzfristige, schnell erreichbare Ziele (z.B. was in dieser Stunde gemacht werden soll) festlegen – oder die Schüler selbst solche Ziele definieren lassen. Und diese können bei jedem „Login“ wieder bewusst gemacht werden, ähnlich wie im Beispiel „Alto’s Odyssey“ unten. Außerdem kann man den Schülerinnen optionale Ziele mitgeben. Für die konkrete Unterrichtsvorbereitung heißt es dann oft: Wie lässt sich der Weg zur Leistungserbringung (Klassenarbeit etc.) stückeln, um vielfältige Ziele (und damit auch Quests, s.o.) zu bieten?

In Alto’s Odyssey (Snowman, 2018) erhält die Spielerin mit jedem Login Hinweise dazu, welche Ziele sie aktuell verfolgen kann.

Im Prinzip geht es ums Gleiche

Wie dargelegt überschneiden sich Spiele und (schulisches) Lernen an sehr vielen Stellen. Z.B. in Sachen Problemorientierung, aktives Lernen, Feedback oder was die Arbeit mit klaren Zielen angeht. Kein Wunder, schließlich folgen beide an vielen Stellen grundsätzlich den gleichen bewährten Prinzipien (Gee, 2007). Es ist letztlich eine Frage der Perspektive, ob man dabei eher mit spielerischen oder didaktischen Begriffen hantiert. Ob man für ansprechende Lernerlebnisse sorgen oder eine ansprechende Spielerfahrung bieten will: im Grunde geht es oft um das Gleiche.


Literatur & Links

Bovet, G. & Huwendiek, V. (2008), Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf (5., überarb. Aufl.). Berlin: Scriptor.

Chou, Yu-Kai (2014). Actionable Gamification. Beyond Points, Badges and Leaderboards, Milpitas, CA: Octalysis Media.

Deterding, S. (2011). Meaningful Play. Getting »Gamification« Right. Presentation, Google Tech Talk, January 24, 2011, Mountain View, CA, aufgerufen am 24.03.2020.

Gee, J. P. (2007). What Video Games Have to Teach aus About Learning and Literacy (2nd Edition), New York u.a.: Palgrave Macmillan.

Hallet, W. (2006): Didaktische Kompetenzen – Lehr- und Lernprozesse erfolgreich gestalten, Stuttgart: Klett.

Juul, J. (2015): Die Kunst des Scheiterns – Warum wir Videospiele lieben, obwohl wir immer verlieren. Wiesbaden: LUXBOOKS.

Kerres, M. (2018): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote, 5. Auflage, Oldenburg: De Gruyter.

McGonigal, J. (2012). Reality Is Broken: Why Games Make Us Better and HowThey Can Change the World (Reprint). New York: Penguin Books.

Rigby, S. & Ryan, R.M. (2011): Glued to Games. How Video Games Draw Us in and Hold Us Spellbound, Santa Barbara, CA: Praeger/ABC-CLIO.

Ryan, R. M. & Deci, E. L. (2000). Intrinsic and Extrinsic Motivations. Classic Definitions and New Directions. Contemporary Educational Psychology25(1), 54–67. https://doi.org/10.1006/ceps.1999.1020

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Wie der Titel verrät: Dieses Themenspecial ist meinem Arbeitsschwerpunkt „Gamification in Schule und Hochschule“ gewidmet. Ich befasse mich seit 2009 mit der Entwicklung und dem Einsatz von spiele-basierten Lernformen wie Gamification und GBL im sekundären und tertiären Bildungsbereich. Als Lehrer habe ich u.a. gamifizierte Lerneinheiten erstellt und im Unterricht eingesetzt. Im Rahmen meiner mediendidaktischen Arbeit berate ich außerdem Hochschullehrende zum Thema Gamification, seit 2017 auch in Workshops. Dieses Themenspecial ist aus den Inhalten dieser Workshops entstanden.

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