Orientierung finden mit dem „Gamification-Kompass“

Für mich sind mit Blick auf das Thema „Lernen & Lehren“ besonders zwei Dinge interessant. Zum Einen die Motivation, mit der man lernt – also die Lernmotivation. Sie sollte meines Erachtens möglichst selbstbestimmt sein. Zum Anderen das sinnbildende Lernen, d.h. dass man Lernangebote schafft, die für die Lernenden bedeutungsvoll sind bzw. als sinnvoll erlebt werden können. Auf beides – selbstbestimmte Lernmotivation & sinnbildendes Lernen – kann man meiner Meinung nach durch den Einsatz von Spielelementen positiv einwirken. Um das gezielt zu tun, verwende ich den „Gamification-Kompass.“

Selbstbestimmte Lernmotivation & sinnbildendes Lernen sind für mich wesentliche Aspekte bei der Gestaltung eines Lernangebots. Bevor ich erläutere, wie ich mithilfe des „Gamification-Kompasses“ gezielt nach passenden Spielelementen suche, die auf die Lernmotivation positiv einwirken und sinnbildendes Lernen ermöglichen, möchte ich den ersten dieser beiden Begriffe genauer betrachten.

Selbstbestimmte Lernmotivation

Selbstbestimmte Motivation ist ein Begriff, der in der Selbstbestimmungtheorie (Self-Determination-Theory, kurz SDT) von Deci & Ryan (1985) zentral ist. In der SDT wird zwischen verschiedenen Motivationsarten differenziert: Auf der einen Seite stehen verschiedene Formen der extrinsischen Motivation und auf der anderen die intrinsische Motivation.

Intrinsisch motiviert zu sein heißt, das man eine Aktivität wegen ihrer selbst Willen gerne macht – und nicht wegen den damit verbundenen Konsequenzen (wie eine Belohnung oder eine Bestrafung). Dieser Motivationszustand ist offensichtlich ideal. Wenn man hingegen „von außen“ motiviert wird (also z.B. durch Belohnung und Bestrafung), dann spricht man eher von extrinsischer Motivation. Diese Art der Motivation ist nicht schlecht. Wenn es um die Freude am Lernen geht, ist die intrinsische Motivation jedoch wünschenswerter. Man ist übrigens nicht nur entweder extrinisisch oder intrinsisch motiviert; man kann auch mehrere Motivationszustände nacheinander oder sogar zeitgleich erleben.

Deci & Ryan unterscheiden verschiedene Motivationsstufen:

Motivationsstile nach Ryan & Deci (2000).

Wenn man nun jemandem zum Lernen motivieren möchte, dann geschieht dies zwangsläufig „von außen.“ Das heißt jedoch nicht, dass man nur extrem „extrinsische Motivationsarten“ wie Belohnung und Bestrafung anwenden kann. Nein, man kann Lernangebote so gestalten, dass sie es den Lernenden ermöglichen, extrinsische Motivationsarten zu erleben, die in Richtung der intrinsischen Motivation tendieren. Ziel ist es, dass sie also eine möglichst selbstbestimmte Lernmotivation erleben – im Gegensatz zu einer eindeutig fremdgesteuerten Motivation durch externe Reize wie Belohnung oder Bestrafung.

Kompetenzerleben, Selbstbestimmung & Einbindung

In der SDT werden drei psychologische Bedürfnisse hervorgehoben, die für die Entwicklung intrinsischer Motivation wie auch selbstbestimmter Motivation von besonderer Bedeutung sind. Dabei handelt es sich um das Bedürfnis nach Kompetenzerleben, um das Bedürfnis nach Selbstbestimmung (Autonomiebedürfnis) und um das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit/Einbindung.

Werden diese drei Bedürfnisse erfüllt, kann selbstbestimmte (oder intrinsische) Motivation entstehen. Bei einem Lernangebot kann dementsprechend die Lernmotivation unterstützt werden, indem diese Bedürfnisse berücksichtigt werden. Diese Lernmotivation wirkt sich wiederum auf ein positives, erfolgreiches Lernerlebnis und den individuellen Lernerfolg aus.

Der Kompass

Nun endlich zum Gamification-Kompass. Mit ihm habe ich mir ein Bild geschaffen für ein Tool, das Orientierung im Gamification-Dschungel schaffen soll. Er ist in Quadranten unterteilt, drei davon stehen für die Bedürfnisse nach Kompetenzerleben, Selbstbestimmung und sozialer Einbindung.

Der Kompass dient also dazu, mich an die Bedeutung dieser Bedürfnisse zu erinnern. Und das beim Blick auf Spielelemente. Denn mit ein Grund dafür, weshalb Spiele für viele Menschen sehr motivierend sind, ist die Tatsache, dass diese Bedürfnisse darin häufig ausgiebig berücksichtigt werden.

Spiele sind regelrechte Fundgruben, wenn es um Elemente geht, die Kompetenzerleben, Autonomieerleben und soziale Einbindung ermöglichen. Es lohnt sich, mit dem „Kompass in der Hand“ Spiele zu analysieren und nach geeigneten Spielelementen und Game Design Prinzipien zu suchen.

Sinnbildendes Lernen

Damit bleibt noch ein Kompass-Quadrant übrig. Er ist dem sinnbildenden Lernen gewidmet. Es gibt verschiedene lerntheoretische Ansätze, die hervorheben wie wichtig es ist, dass Lernen in einem bedeutsamen Kontext stattfindet, z.B. das situierte, das fallbasierte, oder das problemorientierte Lernen.

Spiele schaffen auf verschiedene Weise einen klaren Bedeutungsrahmen, z.B. durch eine Story, eine kohärente Spielwelt oder durch das grafische Design. Es lohnt sich also auch bei Gamification, gezielt nach solchen Spielelementen Ausschau zu halten.

Letztlich hängt es natürlich vom einzelnen Lernenden ab, ob für ihn eine bedeutsame Erfahrung entsteht. Klar, Menschen mögen unterschiedliche Geschichten oder grafische Stile. Deshalb ist eine Abstimmung auf die Zielgruppe hier unerlässlich.

Beim sinnbildenden Lernen geht es also darum, Bedeutung zu schaffen – oder vielleicht besser: zu ermöglichen.

Der Kompass in Action

Wie häufig bei vereinfachten Darstellungen, hakt es auch beim Bild des Kompasses hier und da. Aber darauf will ich hier nicht eingehen. Mir gibt der Kompass grundsätzlich eine gute Orientierung, um wesentliche Aspekte bei der Gamifizierung eines Lernangebots im Blick zu behalten. Aspekte, die lerntheoretisch begründet sind und sich in didaktischen Prinzipien wie der Problemorientierung, der Aktivierung oder dem situierten Lernen wiederfinden.

Mit dem Kompass suche ich also in der Vielfalt des Gamification-Dschungels nach solchen Methoden und Ansätzen, die meines Erachtens besonders hilfreich sind wenn es darum geht, selbstbestimmte Motivation und sinnbildendes Lernen zu ermöglichen. Wie diese zum Beispiel:

Kompetenzerleben kann durch problemorientiertes, aktives Lernen entstehen, insbesondere wenn es „angenehm frustrierende“ Herausforderungen bietet; also „Challenges“, die einen weder unter- noch überfordern. Herausforderungen, an denen man sich ggf. auch mehrmals versucht, um sie zu meistern – ohne dabei das Handtuch werfen zu wollen.

Selbstbestimmung kann dann erlebt werden, wenn man z.B. verschiedene Wahlmöglichkeiten hat oder selbst aktiv die Spiel- oder Lernumgebung mitgestalten kann, z.b. in dem man Einfluss auf den Lerninhalt oder die Aufgabenstellung hat.

Soziale Einbindung wird natürlich möglich, wenn man gemeinsam arbeitet/ lernt – also wenn man andere „Mitspieler“ hat. Eine Form der Zusammenarbeit ist die Kooperation, die z.B. bei Gruppenarbeit zentral ist.

Bedeutung entsteht letztlich, wann immer (für die Zielgruppe!) bedeutsame Inhalte bearbeitet oder thematisiert werden. Das kann z.B. mit Hilfe von Story-Elementen geschehen, durch die die Lernenden in ein Szenario regelrecht hineingezogen werden.

In den nächsten Blog-Beiträgen wird es zu jedem der vier Kompass-Quadranten ausführliche Beispiele geben. Und wer sich weiter in die Materie einarbeiten will, der findet in den Literaturangaben einige Anregungen.


Literatur:

Bovet, G. (2008). Lernmotivation. In G. Bovet & V. Huwendiek (Hrsg.), Leit- faden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf (5., über- arb. Aufl., S. 299–321). Berlin: Scriptor.

Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in human behavior (Perspectives in social psychology). New York: Plenum.

Conway, S. (2014). Zombification?: Gamification, motivation, and the user. Journal of Gaming & Virtual Worlds, aufgerufen am 28.06.2019.

Farber, M. (2015). Gamify your classroom. A field guide to game-based learn- ing (New literacies and digital epistemologies, Vol. 71). New York: Peter Lang.

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Rheinberg, F. (2008). Motivation (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher, Bd. 555, 7., aktualisierte Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Ryan, R. M. & Deci, E. L. (2000). Intrinsic and Extrinsic Motivations. Classic Definitions and New Directions. Contemporary Educational Psychology25(1), 54–67. https://doi.org/10.1006/ceps.1999.1020

Ryan, R. M., Rigby, C. S. & Przybylski, A. (2006). The Motivational Pull of Video Games: A Self-Determination Theory Approach. Motivation and Emotion30(4), 344–360.

Sailer, M., Hense, J. U., Mayr, S. K. & Mandl, H. (2017). How gamification motivates: An experimental study of the effects of specific game design ele- ments on psychological need satisfaction.

Schell, J. (2015). The art of game design. A book of lenses (Second edition). Boca Raton: CRC Press.

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Wie der Titel verrät: Dieses Themenspecial ist meinem Arbeitsschwerpunkt „Gamification in Schule und Hochschule“ gewidmet. Ich befasse mich seit 2009 mit der Entwicklung und dem Einsatz von spiele-basierten Lernformen wie Gamification und GBL im sekundären und tertiären Bildungsbereich. Als Lehrer habe ich u.a. gamifizierte Lerneinheiten erstellt und im Unterricht eingesetzt. Im Rahmen meiner mediendidaktischen Arbeit berate ich außerdem Hochschullehrende zum Thema Gamification, seit 2017 auch in Workshops. Dieses Themenspecial ist aus den Inhalten dieser Workshops entstanden.

5 Kommentare zu „Orientierung finden mit dem „Gamification-Kompass““

  1. Lieber Herr Behnke, bin inder Erwachsenenbildung tätig, gerade auch mit Führungskräften. Gerne erfahre ich mehr von Ihnen und freue mich über Vertiefung. Interessant sind dann auch Beispiele von entsprechenden Angeboten für die Themen und Quadranten.

    1. Vielen Dank für Ihr Interesse, Frau Böhm! Es freut mich, wenn die Artikel aus diesem Themenspecial für Sie hilfreich sind. Beispiele zu den einzelnen Kompass-Quadranten wird es dann in den nächsten Beiträgen geben.

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